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Jahreswechsel ist bekanntlich die Zeit für gute Vorsätze: mehr Sport treiben, mit dem Rauchen aufhören, weniger Alkohol trinken, ein paar Kilos abnehmen, mehr Zeit für sich oder für liebe Menschen haben und so weiter und so fort… Die Liste könnte fast endlos weitergeführt werden. Die Jahreslosung für das Jahr 2024 klingt nach einem guten Vorsatz für einen Jahreswechsel: “Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.”

Der Apostel Paulus schreibt dieses Wort an eine christliche Gemeinde, in der von Liebe wenig zu sehen war. Das Leben in der Gemeinde in Korinth war eher durch gegenseitige Abneigung, Streit und Spannungen geprägt. Sie bestand aus sehr unterschiedlichen Menschen: aus Juden und Nicht-Juden, aus Armen und Reichen, aus sehr frommen und aus eher lockeren Christen. Es gab Streit über Fragen, wie man als Christin und Christen in der Gemeinde und im Alltag zu leben hat. In der Gemeinde gab es viele begabten Menschen. Ihre Begabungen dienten aber nicht zum Aufbau der Gemeinde, sondern zum Wettbewerb gegeneinander.

Für diese Situation schreibt Paulus das Wort, das wir nun als Jahreslosung haben: “Alles, was ihr tut, geschehe in der Liebe.” Davor, im 13. Kapitel, hat er schon über die Liebe geschrieben. Sehr bekannte Worte, die als “Hohelied der Liebe” bekannt sind.

Was meint aber der Apostel, wenn er in einer solchen Situation von “Liebe” redet? Will er damit einfach die “Harmoniesoße” über alle Streitereien übergießen, und dann ist Alles gut? Will er mit seinen Worten die Probleme unter den Teppich kehren, und dann sind sie weg?

Auf keinen Fall. Paulus nennt die Missstände in der Gemeinde schonungslos. Er kritisiert die Gemeindeglieder, die dafür verantwortlich sind. Er kritisiert sie aber nicht so, dass sie sich beleidigt zurückziehen. Er geht mit ihnen wertschätzend um und zeigt ihnen, dass jede und jeder einen Platz in der Gemeinde hat. Man könnte so sagen: Paulus geht mit den Menschen in Liebe um.

Was für eine Kirchengemeinde gut ist, kann auch für andere Beziehungen auch gut sein. Streit gehört zum Leben. Manchmal muss darüber gestritten werden, wie Liebe am besten in die Tat umgesetzt wird. Und es kann sogar komplizierte Situation geben, in denen unterschiedliche Meinungen stehen bleiben. Was den Menschen zum Besten dient und bester Ausdruck von Liebe und Nächstenliebe ist, das ist selten ganz eindeutig.

Liebe – so wie Paulus sie versteht – kann dazu helfen, dass ich mit Menschen im Gespräch bleibe, auch wenn wir nicht zu einer gemeinsamen Meinung über strittige Themen kommen. Liebe kann dazu helfen, dass ich mit Menschen wertschätzend umgehe, die ganz anders denken als ich; dass ich sie nicht als Feinde betrachte, die zu vernichten sind; dass ich ihnen ein Daseinsrecht einräume; dass ich sie als Gottes geliebte Menschen betrachtet, so wie auch ich von ihm geliebt bin. Die Zuspitzung dieser Form von Liebe ist die Feindesliebe, die Jesus in der Bergpredigt von seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern fordert. (Matthäus 5, 44)

Man muss aber nicht gleich an das Gebot der Feindesliebe denken, damit man es merkt: Die Jahreslosung bringt uns schnell an unsere Grenzen. “Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe”: Ich gebe ehrlich zu, dass ich vor diesem Satz oder besser vor dem Anspruch, den er an mich stellt, ein wenig zurückschrecke. Geht es vielleicht eine Nummer kleiner? Ich könnte mich damit anfreunden, wenn es statt “Alles” hieße: „manches“ oder „das eine und das andere“. Aber „alles“? Hand aufs Herz: Ich weiß nicht, ob ich wirklich immer alles in Liebe tun kann.

Und wenn die Sache mit der Liebe mit Menschen, die ich liebe, manchmal gar nie so einfach ist, wie ist dann mit Menschen, die mir überhaupt nicht liegen? Kann die Jahreslosung ein realistischer guter Vorsatz für das neue Jahr sein? Oder endet dieser Vorsatz nicht wie viele anderen guten Vorsätze: nach ein paar Wochen gibt man sie auf, weil es eine Nummer zu groß war?

In der Tat: Die Liebe, von der der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther schreibt, übersteigt unsere Möglichkeiten zum Lieben. Liebe, so wie Paulus sie meint und beschreibt, ist zunächst kein Ergebnis unserer eigenen Anstrengungen, sondern sie kommt von Gott, der selbst Liebe ist. (1. Johannes 4,16)

Seine Liebe zu uns Menschen haben wir an Weihnachten gefeiert. In dem Kind in der Krippe ist diese Liebe “fleischgeworden”. Sie hat Fleisch und Blut angenommen, damit wir sie hautnah erfahren können. In Jesus Christus, in seinen Worten und in seinen Taten, hat er uns gezeigt, was Liebe ist. Bis zu seinem Tod am Kreuz blieb er der Liebe treu. Aus Liebe gab er sein Leben für uns hin.

Diese Liebe wird uns bedingungslos geschenkt. Und wer von ihr erfasst und erfüllt ist, wird auch lieben. Gottes Liebe verändert uns und macht uns zur Liebe fähig. Wir können lieben, weil wir geliebt sind.

Von ihm kommt auch die Vergebung, wenn wir in der Liebe versagen. Denn wir wissen: Nicht alles, was wir 2024 tun werden, wird in Liebe geschehen. Lieblosigkeit, Selbstsucht, Gleichgültigkeit, Ärger und Abneigung werden immer dabei gemischt sein.

In dem Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, haben wir die Quelle der Liebe, die uns auch vergibt, wenn wir unseren Mitmenschen in der Liebe schuldig bleiben.

Die Jahreslosung 2024 ist vielmehr als ein guter Vorsatz für ein neu beginnendes Jahr wie viele anderen. Sie ist eine Lebenseinstellung, die unseren Alltag und diese Welt ein Stück besser machen kann.

“Alles, was ihr tut, geschehe in der Liebe”: Eine Nummer zu groß für dich? Dann versuch es in den kleinen Schritten, und bittet Gott um seine Kraft und seine Vergebung. Und du wirst sehen: In der Liebe liegt Gottes Kraft, die Menschen und Welt verändern kann. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gutes neues Jahr.

Aus der Predigt am Silvesterabend in der Evangelisch-Lutherischen Simeonkirche (31.12.2023)

Dr. Joao Carlos Schmidt